Verspätungen im ÖPNV sind komplex

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Verspätungen im ÖPNV können vielschichtige Ursachen haben. Der folgende Artikel taucht tief in dieses komplexe Thema ein.

Was versteht man unter dem Begriff “Verspätung”?

Fahrgästen ist Pünktlichkeit im ÖPNV sehr wichtig. Aber was empfinden sie als Verspätung? Oder vielmehr: Was ist die Definition von Verspätung? Schauen wir mal im Wörterbuch nach:

“1. Etwas zu einem späteren Zeitpunkt erledigen, als geplant oder erwartet war.

2. Etwas oder jemanden verlangsamen.

3. Kein sofortiges oder schnelles Handeln.”

Wenn wir uns diese Definitionen anschauen, dann bedeutet Verspätung im ÖPNV, dass etwas eine langsamere Fahrt oder ein verspätetes Ankommen des Fahrzeuges verursacht hat, als erwartet war.

Wenn Fahrgäste auf den Bus oder die Bahn warten, dann bedeutet das noch nicht, dass die Ankunft des Fahrzeuges Verspätung hat. Stellen Sie sich vor, 50 Menschen warten auf einen Bus, dann würde sich eine Minute Verspätung schon wie eine große Sache anfühlen. Aber wenn niemand auf den Bus wartet, dann ist es vollkommen egal, ob das Fahrzeug verspätet ankommt, weil niemand davon betroffen ist.

Laut einer Studie der Universität von Calabria, gehört Pünktlichkeit zu den wichtigsten Faktoren, die Aussagen über die Zuverlässigkeit eines Dienstleisters im ÖPNV-Sektor treffen. Berechnet wird der Prozentsatz der Fahrzeuge, die innerhalb eines Puffers von 5 Min. am Ziel ankommen bzw. von der Station oder Haltestelle abfahren (verglichen mit der Gesamtzahl aller Ankünfte und Abfahrten). Das heißt, dass ein Zeitfenster von 5 Min. als “pünktlich” gewertet wird.

In der Zwischenzeit wurde 2015 eine Studie im Vereinigten Königreich veröffentlicht, die herausfand, dass bei einer Ankunft innerhalb einer Minute der geplanten Zeit, der Zug “pünktlich” ist. Wenn ein Nahverkehrszug 10 Min. und ein Fernverkehrszug 20 Min. Verspätung hatte, wurde dies als “signifikante Verspätung” gewertet.

Bis zu welchem Grad sind Verspätungen noch akzeptabel?

Auch wenn Puffer vorhanden sind, die noch als “pünktlich” gelten, sollte dennoch der Toleranzgrad für Verspätungen berücksichtigt werden. Im Jahr 2014 wurde beispielsweise eine Studie im Vereinigten Königreich durchgeführt, die feststellte, dass Fahrgäste Toleranz zeigten, wenn sie ihren Bus verpassten, solange der Betreiber ein hohes Aufgebot an Linienbusse hatte (alle 10 Min.). Wenn die Anzahl der Busse geringer war (alle 20 Min.), dann waren sie weniger tolerant.

In einer weiteren Studie aus dem Jahr 2016, diesmal in der Tschechischen Republik, fanden die Forscher folgende Zeiten heraus: Eine Wartezeit von 3 Min. wurde als sehr positiv empfunden, 6 Min. als positiv, 10 Min. als neutral. Alles, was darüber hinausging, wurde als unzumutbar angesehen.

Der Initiator dieser Studie schlussfolgerte, dass die Fahrgäste, die regelmäßig zur Arbeit pendeln, wissen, wann die geplanten Abfahrtzeiten sind und sich daher frühzeitig zur Haltestelle begeben. Aus diesem Grund erwarten sie nicht, dass sich die Wartezeiten verlängern werden.

Auch bewiesen ist die Tatsache, dass Verspätungen im ÖPNV die Fahrgäste dazu bewegen, ein Taxi zu rufen oder eine Carsharing-App zu nutzen. Vor Kurzem wurde ein Bericht veröffentlicht, der herausfand, dass Verspätungen im ÖPNV die Nachfrage nach Apps, die eine sofortige Mobilität ermöglichten, steigen ließ. Der Bericht stützt sich auf Daten, die in München gesammelt wurden.

Wenn es zu Verspätungen im ÖPNV kommt, dann variiert die durchschnittliche Nachfrage nach Carsharing-Apps um die 13,5 %, während die Nachfrage nach Taxis bei 52,1% liegt. Die Anfrage nach Taxis und Carsharing kann jeweils um 0,5% bis 2,2% reduziert werden, wenn es zu weniger Verspätungen im ÖPNV kommen würde.

Jeder, der mal auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen war, weiß, welcher Schaden entstehen kann, wenn ein Fahrzeug Verspätung hat.

Niemand will zu spät zur Arbeit kommen (außer man hasst seinen Job). Oder verspätet auf einer Feier erscheinen (außer man will zu spät kommen und damit die Verwandten auf der Hochzeit des Cousins entrüsten).

Und niemand will seine wertvolle Zeit mit dem Warten auf einen Bus verschwenden. Zeit, die man mit Sport, einem Plausch bei einem Kaffee oder einer Wanderung in den Bergen hätte verbringen können.

Außerdem will niemand auf einen verspäteten und zudem vollen Zug oder Bus warten, der dann noch zu weiteren wartenden Fahrgästen führt. Am Ende steigen so lange Menschen ein, bis kein Platz mehr im Fahrzeug vorhanden ist.

Verspätungen gehen schon einem auf die Nerven, wenn man über sie nachdenkt…

Was verursacht Verspätungen im ÖPNV?

Bisher haben wir über unpünktliche Ankunftszeiten gesprochen, aber noch nicht über verspätete Abfahrtszeiten. Wie der Name schon sagt, bezeichnen verspätete Ankunftszeiten, dass das Fahrzeug unpünktlich an der Haltestelle ankommt. Verspätete Abfahrtzeiten bedeuten hingegen, dass der Bus oder die Bahn später als die geplante Uhrzeit von der Station abfährt. Es wird erwartet, dass eine verspätete Abfahrt zu einer unpünktlichen Ankunft führt und umgekehrt.

Ein Bericht aus dem Jahr 2017, der in Jordanien veröffentlicht wurde, untersuchte die Wartezeit der Fahrgäste im ÖPNV und fand folgende Punkte heraus:

  • Alle öffentlichen Verkehrsmittel berichteten von einer durchschnittlichen Wartezeit von 14 Min.
  • Die kürzeste Wartezeit zur Hauptverkehrszeit betrug 8 Min. für ein Taxi.
  • Die längste Wartezeit belief sich auf 26 Min. für Busse, weil sie eine größere Anzahl an Fahrgästen mitnehmen können und längere Strecken zurücklegen, als andere Verkehrsmittel.
  • Hauptverkehrszeiten verursachen augenscheinlich signifikante Verspätungen.

Offensichtlich verursachen Hauptverkehrszeiten und lange Busstrecken Verspätungen, aber da ist noch mehr zu nennen, als nur Stau und lange Fahrtstrecken.

Eine Studie von Gershenson und Pineda aus dem Jahr 2009 diskutierte die Auswirkung von instabilen Taktzeiten auf Verspätungen im ÖPNV. Falls Sie es nicht wussten, Taktzeiten sind die Zeitspannen die zwischen zwei aufeinanderfolgenden Fahrzeugen der selben Linie vergehen. Wir wissen bereits, dass eine gleichmäßige Taktzeit die besten Rahmenbedingungen für Fahrgäste bietet, weil die Menschen sich mehr auf die Verkehrsmittel verlassen können und somit weniger Wartezeiten haben.

Aber in der Realität ist das nicht immer so einfach. Denn die Taktzeit verkürzt sich, sobald das vorausfahrende Fahrzeug sich verspätet und verlängert sich, wenn der darauffolgende Zug oder Bus unpünktlich ist. Somit führen verkürzte Taktzeiten zu weniger Fahrgästen, die warten und verlängerte Taktzeiten zu einer höheren Anzahl an wartenden Menschen.

Warum sind die Taktzeiten ungleichmäßig? Weil Fahrzeuge sich schneller oder langsamer bewegen, als erwartet wird. Schneller, wenn der Fahrer die vorgegebene Geschwindigkeit missachtet. Zusätzlich zu Ampeln und Staus verlangsamt sich jedoch die Fahrtzeit durch folgende Aspekte (erwähnten wir bereits in einem anderen Artikel):

  • Busfahrer (der langsamere Fahrten bevorzugt),
  • Fahrzeugbau und -technologie,
  • das Fehlen von Fahrbahnen für Busse,
  • eingleisiges Schienensystem,
  • Verhalten der Fahrgäste,
  • zu viele Personen steigen durch die mittlere Tür ein,
  • ein Zusammenspiel von den genannten Faktoren.

Ampelkreuzungen, die sich in der Nähe von Bushaltestellen befinden, könnten die Busse verlangsamen. Zudem können Fahrgäste, die nicht bis zum Ende des Busses vorgehen, den Eintritt weiterer Reisende verzögern und somit zu verspäteten Abfahrtszeiten beitragen.

Interessant ist auch ein Jahreszeiten-Phänomen in Irland. Wenn im Herbst die Blätter auf die Gleisen fallen, verlangsamen diese die Zugfahrt und sorgen für ein verfrühtes Abbremsen des Fahrzeugs, bevor eine Station erreicht wird.

Wir dürfen nicht vergessen, dass Feiertage und spezielle Events auch zu Verspätungen oder Pünktlichkeit beitragen können. Beispielsweise können öffentliche Verkehrsmittel in der Urlaubszeit weniger belegt sein und somit geringere Verspätungen haben. Allerdings können Events wie Fußballspiele den Belegungsgrad der Fahrzeuge erhöhen.

Wie hat die COVID-19-Pandemie Verspätungen im ÖPNV beeinflusst?

Wir glauben, dass die Verspätungen abgenommen haben. Warum? Weil die Angst vor einer Infektion im ÖPNV und die Abstandsregeln die Menschen dazu bewegen vom Reisen abzusehen, sodass weniger überfüllte Fahrzeuge im Einsatz sind.

Die Deutsche Bahn bestätigt diese Annahme. Sie berichteten, dass sie im Jahr 2020 die pünktlichsten Züge seit den letzten 15 Jahren hatten. Von ihren Fernverkehrszügen waren 81,8% und von ihren Nahverkehrszüge 95,6% pünktlich (in einem Puffer von weniger als 6 Min. erreichten sie die Stationen).

Allerdings stellte eine Studie von Tirachini und Cats aus dem Jahr 2020 fest, das die Bahngesellschaften während der Pandemie zwischen der Zuverlässigkeit ihrer Dienste, den Abstandsregeln und den vorhandenen Ressourcen abwägen mussten.

Aufgrund der Abstands- und Lockdown-Verordnungen gingen die Fahrgastzahlen stark zurück. Die Betreiber reagierten daraufhin mit einem geringen Fahrzeugaufgebot, was zu längeren Taktzeiten führte. Schließlich kam es zu häufigeren Verspätungen. Gleichzeitig werden mehr Ressourcen gebraucht, um eine bessere Service-Zuverlässigkeit zu garantieren und das Einhalten der Abstandsregeln zu ermöglichen. Das alles umzusetzen, heißt für die Bahngesellschaften höhere finanzielle Belastungen.

Können wir Verspätungen vorhersagen?

Wenn Sie sich den psychologischen Prozess anschauen, der beim Warten abläuft, werden Sie feststellen, dass ungewisses oder unerklärtes Warten sich länger anfühlt, als wenn man die Gründe kennt. Deshalb ist es wichtig, zu wissen, ob ein Fahrzeug sich verspäten und wann es ankommen wird.

Zum Glück ist die Antwort auf die Frage, ob Verspätungen vorhergesagt werden können, ein großes JA. Big Data kann zur Suche und Analyse verschiedener Faktoren, die Verspätungen begünstigen können, genutzt werden. Darüber hinaus kann auch maschinelles Lernen angewendet werden.

Das öffentliche Verkehrsnetz des australischen Bundesstaats New South Wales macht Gebrauch von Amazons maschinellen Lerntechnologien, um sich besser auf Verspätungen vorzubereiten. In Indien bietet Google Maps Verspätungsinformationen für Busse in den zehn größten Städten an. Außerdem gibt sie Zuginformationen in Echtzeit an und gibt multi-modale Verkehrsempfehlungen weiter (Kombination von ÖPNV und Autorikscha-Fahrten).

Yap und Cats (ja, der selbe Dr. Cats von vorhin) boten in einer Studie aus dem Jahr 2020 eine Alternative zu bereits existierenden und rechnerisch teureren Methoden an. Sie stellten eine überwachte Herangehensweise beim Lernen vor. Dabei soll die Häufigkeit vom Auftreten verschiedener Störungen an verschiedenen Stationen beobachtet und ihre Auswirkungen auf Verspätungen analysiert werden.

Der selbe Yap führte 2020 eine weitere Studie durch, in der er Schritt für Schritt erklärt, wie der Einfluss von Störfaktoren reduziert werden kann:

“Schritt 1: Gegenwärtige Störeinflüsse messen.

Schritt 2: Zukünftige Störhäufigkeiten und -einflüsse vorherbestimmen.

Schritt 3: Entwickeln und untersuchen Sie Gegenmaßnahmen, um diese Störungen zu kontrollieren.”

Yap (2020)

… was uns zum finalen Teil des Artikels führt.

Der Umgang mit Verspätungen

Das Thema Verspätung ist so komplex, dass es echt schwierig ist, über jeden einzelnen Aspekt der Unpünktlichkeit im ÖPNV zu schreiben. Einiges muss getan werden, um so ein vielschichtiges Problem abzuschwächen.

Vielleicht wird eine mulit-dimensionale Methode benötigt, weil verschiedene Aspekte von Verspätungen im ÖPNV von unterschiedlichen Winkeln angegangen werden können. Außerdem gibt es mehrere Indikatoren, wie geplante Ankunft und Abfahrt sowie tatsächliche Ankunft und Abfahrt, die analysiert werden können.

Unter den Lösungsansätzen, die die Bahnbetreiber und -fahrer im Umgang mit Verspätungen beachten sollten, sind folgende Aspekte:

  • Aus Fahrplangründen: leere statt volle Busse verlangsamen.
  • Die Fahrgäste über Verspätungen, die in Echtzeit oder in Zukunft geschehen, informieren.
  • Kleine Fahrzeuge und dafür häufigere Einsätze, als größere Fahrzeuge, die vereinzelt betrieben werden.
  • Umstiegszeiten genauer beobachten.
  • Methoden entwickeln, die einen gleichmäßigen Abstand zwischen Fahrzeugen der gleichen Linie ermöglichen und so für Stabilität sorgen.
  • Fahrgäste über Unbeständigkeiten in der Taktzeit aufklären und sie zum Ergreifen folgender Maßnahmen anregen:

“1. Wenn ein überfülltes Fahrzeug nach einer langen Wartezeit an einer Station ankommt, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass ihm leere Fahrzeuge dicht folgen. Steigen Sie nicht in die überfüllten Fahrzeuge ein. Dadurch verspätet sich das Fahrzeug noch weiter.

Wenn auch nur einige wenige diesen Ratschlag befolgen, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Fahrzeuge schneller fahren und infolgedessen, die nachkommenden Fahrzeuge zügiger folgen. Die allgemeine Leistung des Verkehrssystems könnte dadurch verbessert werden. Auf den nächsten Bus oder Zug zu warten, könnte tatsächlich zu einer schnelleren Reise beitragen.

2. Machen Sie Platz, damit die Leute aussteigen können. Der Versuch, vor den anderen Fahrgästen einzusteigen, wird nur zu einer unpünktlichen Abfahrt führen. Manchmal ist das Warten auf den nächsten oder übernächsten Zug schneller, als zu versuchen, in ein überfülltes Fahrzeug zu steigen (vor allem in einem Verkehrssystem, dass ein Vorbeifahren ermöglicht).

3. Wenn Sie sich in einem überfüllten Fahrzeug befinden, dann entfernen Sie sich von den Türen. Indem Sie den einsteigenden Passagieren Raum lassen, wird sich die Reisegeschwindigkeit beschleunigen. Begeben Sie sich auch nicht zu früh zu den Türen, wenn Sie aussteigen müssen.”

Gersherson und Pineda (2009)

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